Rasante Technologiesprünge und unterschiedliche Krisen drängen Unternehmen, ihre Abläufe und Planungszyklen in immer kürzeren Abständen anzupassen. Agilität gewinnt dadurch an Signifikanz, da sie die Fähigkeit einer Organisation ausdrückt, schnell auf neue Anforderungen reagieren zu können. Agiles Arbeiten gehört zu den entscheidenden Management-Praktiken des 21. Jahrhunderts. Agile Arbeitsweisen erleichtern die Wertschöpfung in komplexen Umfeldern, fördern das organisationale Lernen und stärken die Krisenresilienz von Organisationen.
- Das agile Paradigma in Zeiten der Digitalisierung
- Geschichte der Agilität (Kanban, Scrum und Co.)
- 1915: Installing Effency Methods
- 1923: Flow Production
- 1939: PDCA-Zyklus
- 1943: P-80
- 1947: Kanban und das Toyota Production System
- 1963: Iterative and Incremental Development
- 1971: Objectives and Key Results
- 1978: Organizational Learning
- 1986: The New New Product Development Game
- 1992: Die Fraktale Fabrik
- 1993: Scrum
- 2001: Agiles Manifest
- Test: Wie agil ist Dein Unternehmen?
- Deine Fragen zu Agilität
Das agile Paradigma in Zeiten der Digitalisierung
Die zunehmende Verbreitung agiler Vorgehensweisen ist primär im Kontext der fortschreitenden Globalisierung und Digitalisierung der letzten 30 Jahre einzuordnen. Digitale Geschäftsmodelle haben sehr viele Branchen verändert und zugleich das lineare Wertschöpfungsparadigma vieler Industrieunternehmen an ihre Grenzen gebracht. Galten im Industriezeitalter Planbarkeit, Skalierbarkeit und Kosteneffizienz als wichtige Parameter für den Erfolg eines Unternehmens, sind es heute Innovation, Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit.
Agilität ist nicht einfach nur eine andere Form der Arbeitsorganisation, die durch die Einführung bestimmter Tools und Methoden erreicht wird. Agilität ist im Kern ein Set von Werten und Prinzipien, die die Marktbedürfnisse in den Mittelpunkt stellen und zugleich die Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeitenden fordern und fördern.
Viele Unternehmen organisieren sich in ihrer Grundlogik weiterhin nach den Prinzipien des Scientific Management (Taylorismus), die F. W. Taylor Anfang des 20. Jahrhunderts publizierte. Die industriell geprägte Unterteilung in geistige und körperliche Arbeit manifestiert sich bis heute in asymmetrischen Rollenbildern, die Führungskräften strategische und Arbeitern ausführende Funktionen zuschreiben. Unternehmen, die die Kreativität, das Wissen und die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden besser integrieren können, verfügen über eine höhere kybernetische Varietät und damit über deutlich mehr Handlungsoptionen bei komplexen Problemen, wie hoher Marktdynamik.
Geschichte der Agilität (Kanban, Scrum und Co.)
Der Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 80er-Jahre öffnete viele neue Märkte und beschleunigte in direkter Folge die Globalisierung massiv. Mit dem Aufkommen des Internets Anfang der 90er-Jahre erhöhte sich die weltweite Vernetzungsdichte, was wie ein Dynamik-Booster wirkte und zahlreiche disruptive Veränderungen auslöste. Analog zu dieser Entwicklung entstanden immer mehr Organisationsweisen, die heute landläufig unter dem Begriff Agile Methoden zusammengefasst werden. Deren Anfänge – und viele Gemeinsamkeiten – gehen bis in das frühe 20. Jahrhundert zurück.
1915: Installing Effency Methods
1915 stellt Charles E. Knoeppel in seinem Buch Installing effency methods Praktiken zur Wertstromanalyse und rudimentäre Boards unter Verwendung von Signalkarten vor, die ab den 40er-Jahren bei Toyota in Japan als Value Stream Maps und Kanban bekannt wurden.1Quellenfund dank C. Möbius
1923: Flow Production
1923 stellte Frank George Woollard als Generaldirektor der Morris Engines Limited, die Motorenproduktion von der Einzelfertigung auf Fließfertigung um und steigerte die Produktion von 300 Einheiten pro Woche im Januar 1923 auf 1.200 Einheiten im Dezember 1924. Diese Produktionssteigerung wurde durch das von ihm entwickelte Flow System für die Kleinserienfertigung möglich. Flusseffizienz ist ein wichtiges Prinzip agiler Vorgehensweisen. 2Quellenfund dank D. Ortelt
1939: PDCA-Zyklus
In den 30er-Jahren entwickelte Edwards Deming basierend auf den Ideen von Walter Shewhart den sog Demingkreis (o. Shewhart Cycle / PDCA-Zyklus). Gemeint ist ein vierphasiger Prozess, der immer wieder in sog. iterativen Schleifen durchlaufen wird. Adaption und Iteration zählen heute zu den zwei wichtigsten agilen Grundprinzipien.
1943: P-80
1943 bewies Clarence Johnson mit der Entwicklung der P-80, dass es innerhalb kürzester Zeit (< 6 Monate) möglich war, erfolgreich Flugzeuge für die militärische Serienfertigung zu entwickeln. Das erreichte er u.a. dadurch, in dem er die Anzahl der beteiligten Ingenieurbüros klein hielt, frühzeitig testen ließ, das Budget regelmäßig prüfte und die Bürokratie minimierte.
1947: Kanban und das Toyota Production System
1947 entwickelte Taiichi Ōno bei Toyota Motor Cooperation in Japan das sog. Kanban-System, eine moderne Form der Produktionsprozesssteuerung, das 1950 im sog. Toyota Production System aufging (in der westlichen Welt bekannt als Lean Development). Zwei wichtige Prinzipien in Kanban sind die Limitierung der parallelen Arbeit (WiP-Limit) und das Pull-Prinzip (Hol-Prinzip). Beide Prinzipien prägen viele der heute verbreiteten agilen Vorgehensmodelle. 2010 veröffentlichte David Anderson eine Kanban-Interpretation für die Softwareentwicklung (auch als Kanban für die Wissensarbeit bekannt).
1963: Iterative and Incremental Development
1963 liegen die Anfänge von Iterative and Incremental Development (IID). Maßgeblich ist die Vermeidung eines sequenziellen, dokumentengesteuerten, schrittweisen Ansatzes in einem einzigen Durchgang. Beispielhaft ist das Projekt Mercury. Dabei wurden sehr kurze, aber strukturierte, n-tägige Iterationen durchgeführt. Alle Änderungen wurden technisch überprüft, und die heute auch im Extreme Programming zu findende Praxis der Test-First-Entwicklung angewandt.
1971: Objectives and Key Results
1971 führte Andrew Grove bei Intel mit OKR ein neues Managementsystem als Weiterentwicklung des verbreiteten Management by Objectives ein. Langfristige Ziele sollen besser mit dem Tagesgeschäft verknüpft werden und dabei die Ausrichtung der Mitarbeitenden auf die wichtigen Unternehmensziele fördern. Google nutzt Objectives and Key Results seit 1999. Eine größere Aufmerksamkeit erfahren OKRs seit etwa Mitte der 2010er Jahre.
1978: Organizational Learning
1978 stellte Chris Argyris seine Ideen zum Organizational Learning vor. Lernen sollte auf allen Ebenen in einer Organisation stattfinden und nicht nur Führungskräften vorbehalten sein. Dafür bräuchte es ein besonderes Bewusstsein und entsprechenden Freiraum. Zusätzlich präferierte er einen iterativen Lernansatz, damit Organisationen zeitnah aus Fehlern lernen und sich fortlaufend verbessern können. Kontinuierliches Lernen ist ein wichtiges agiles Prinzip.
1986: The New New Product Development Game
1986 veröffentlichten die beiden japanisch-stämmigen Professoren Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka im renommierten amerikanischen Management-Magazin Harvard Business Review einen Artikel unter der Überschrift The New New Product Development Game, der als Namensgeber für das heute am weitesten verbreitete agile Framework Scrum gilt. Der aus dem Rugby entlehnte Begriff Scrum wurde in diesem Beitrag im Kontext Produktentwicklung das erste Mal erwähnt.
1992: Die Fraktale Fabrik
1992 veröffentlichte Hans-Jürgen Warnecke das Buch Die Fraktale Fabrik. Im Kern geht es um übergeordnete, vernetzte Organisationsstrukturen, die als ein Netzwerk selbst organisierender und selbstständig agierender Einheiten zu verstehen sind. Die Ideen des Buches wurden anfangs als zu utopisch kritisiert, wenngleich Fragmente davon heute in fast allen agilen Skalierungsmodellen zu erkennen sind. Die erfolgreiche Würth Gruppe mit ihren 400 rechtlich selbstständigen Gesellschaften gilt als Beispiel eines Fraktalen Unternehmens.
1993: Scrum
1993 implementierten Jeff Sutherland, John Scumniotales und Jeff McKenna Scrum erstmals erfolgreich bei der Easl Corporation. 1995 präsentierten Jeff Sutherland und Ken Schwaber Scrum im Rahmen der OOPSLA-Konferenz zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit. Später wurden einzelne Praktiken aus der Theory of Constraints (TOC), Lean Production, dem 3M-Modell, Kanban und Extreme Programming in Scrum integriert.
2001: Agiles Manifest
Im Februar 2001 trafen sich auf Einladung von Alistair Cockburn 17 Männer in Utah (USA) zur Lightweight Conference3Quellenfund dank W. Motzet , um jenen Nucleus zu formulieren, den wir heute als Agiles Manifest kennen. Jeff Sutherland und Arie van Bennekum, beide vor Ort dabei, berichteten vor einigen Jahren, dass mehrere Begriffe zur Auswahl standen. Agile hat sich in einer Abstimmung am Ende des Treffens nur knapp gegen adaptive und flexible durchgesetzt. Der Rest ist Geschichte.
Manche auf dieser Seite aufgeführten Praktiken stehen in keinem direkten Zusammenhang. Andere knüpfen an Vorheriges an. Das nennt sich Wagenheber-Effekt, ein Mechanismus, mit dem kulturelle Leistungen ständig verbessert werden, weil sie aufeinander aufbauen. In nahezu allen neuen agilen Denkrahmen sind Referenzen zu früheren Ideen und Praktiken erkennbar.
Video: Agile Grundlagen
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Deine Fragen zu Agilität
Quellen
- 1Quellenfund dank C. Möbius
- 2Quellenfund dank D. Ortelt
- 3Quellenfund dank W. Motzet